FAZ.NET, 09.04.2015
Berufsorientierung
Darf's auch mal ein Handwerk sein?
Von Ursula Kals
Was macht ein Elektriker? Kilian zögert, sagt dann "Strom". Seine Mitschüler kichern, schweigen sich aber aus. Viel zu tun also für die Mitarbeiter der Internationalen Handwerksmesse, die sich in der Young-Generation-Halle mühen, um jungen Menschen Berufe vorzustellen. An diesem Tag sind auch die Neuntklässler der St. Emmeram Realschule aus dem bayerischen Aschheim unterwegs. Und die 14 Schüler stehen keineswegs so auf der Leitung wie die Elektro-Ignoranten. Denn der Rundgang über die Münchener Messe, die in dieser Woche zu Ende gegangen ist, ist freiwillig und findet freitagnachmittags statt. Interesse ist da und Beratungsbedarf ebenfalls. Denn bis auf wenige Ausnahmen wissen die 15- und 16-Jährigen nicht, was sie nach der zehnten Klasse werden sollen. Julian Reischl hätte da ein paar Vorschläge. Der eloquente 24-Jährige schleust bei einer kurzweiligen, einstündigen Führung die Gruppen zu den Höhepunkten der Halle. Reischl ist Automobilkaufmann beim Nutzfahrzeughersteller MAN in München-Karlsfeld und repräsentiert einen klassischen Berufsfindungsgrund. "Ich bin von klein auf mit der MAN aufgewachsen, mein Papa ist in der Firma, mein Bruder auch." Im Herbst beginnt sein berufsbegleitendes BWL-Studium. "Ich bin der Julian", steuert er auf die St. Emmeramer Gruppe zu. "Wie viel Handwerksberufe gibt es?" "So um die 100?", rät einer. "Gar nicht schlecht, es sind 130." Darunter die Dachdecker, die nicht nur auf dem Dach sind, wie der Auszubildende André berichtet und aufzählt: "Wir machen Außenabdichtungen für Terrassen, Tiefgaragen, Schwimmbäder, aber auch Gauben." Zwei Jungs und zwei Mädchen dürfen mitanpacken und im Wettstreit glasierte Tonziegel in Biberschwanzform in einer sogenannten Doppeldeckung auf einem kleinen Dachmodell aufbringen. Die Mädels sind schneller. "Vielleicht spornt das die Mädels an?" Wie ein gutgelaunter Clubanimateur dirigiert Reischl zur Koje gegenüber, wo ein Auto und ein Roller parken. "Was hat das denn mit dem Elektrohandwerk zu tun? - Das sind Elektroautos", verkündet er. Azubis der Innung für Elektro- und Informationstechnik schwirren in knallgelben Polohemden umher und erklären, was sie lernen und schon können. Philipp, der technisch interessiert ist, darf eine Kreuzschaltung aufbauen. Alle schauen dem Schüler über die Schulter, als er sich geschickt darin versucht, die Wechselschaltung zu durchschauen und die richtigen Kabel miteinander in Kontakt zu bringen. Azubi Jennifer lobt ihn: Das Licht geht bei jedem der drei Schalter an. Julian Reischl hofft auf ihr Vorbild: "Vielleicht spornt das die Mädels an?" Am nächsten Stand stellen sich die Fliesenleger vor, und da ist es mit der Genderfreude schon vorbei. Die Besucher sollen ein Plattenmosaik legen. Reischl fragt: "Was ist denn ein Mosaik? Das wissen doch die Mädels!" Das ist ja wieder eher ein weiches Thema, irgendwie künstlerisch. Jedenfalls belegen ein Schüler und eine Schülerin ein Schachbrett mit Fliesenplättchen, unter der strengen Aufsicht von zwei Lehrlingen, die kontrollieren, ob das auch schnurgerade erfolgt. Derweil erzählt Fliesen-, Platten- und Mosaiklegermeister Rudolf Dexl, zünftig in grauer Cordhose und Weste, was es braucht, um in seinem Gewerk gute Arbeit zu leisten. Über Dexl weht ein weißes Banner mit dem Slogan "Ich steh' auf Fliesen". Klappern gehört halt zum Handwerk. Große Worte sind bei der Sonderschau "Auto Berufe aktuell" weniger vonnöten. Auf Hochglanz polierte Autos sind umringt von Besuchern, so wie der schwarz-schnittige De Tomaso mit seinen 380 PS, von dem es nur 8000 Stück gibt. Die Wege sind durch die Besucherströme stranguliert, immer wieder bekommt man einen Kinderwagen in die Hacken, weil die Eltern nur noch Augen für die aufgebockte Mercedes-A-Klasse haben. Reischl stellt Rennwagen vor, die auf der Straße nicht zugelassen sind. Anders als der Lkw, dessen mächtige Zugmaschine ein MAN-Mann vorführt. Begeisterung auch bei den zwei Rennmotorrädern, die im Sommer bei einem 24-Stunden-Rennen im Einsatz sind und geradezu liebevoll von zwei jungen Mechanikern betreut werden. Abgehobenen Träumen vom Arbeitsalltag mit rasanten Probefahrten erteilt Reischl allerdings einen Dämpfer: "Für diese Berufe braucht ihr Mathematik, zum Beispiel, um den Sprit zu berechnen. Wenn ihr zu wenig rein tut, dann steht die Maschine." Trotzdem umschwärmen die Schüler die Stände, sehen sich einen Radwechsel an und dürfen eine Beule in eine Motorhaube schlagen und sie wieder ausbeulen. Das traktierte Teil hat schon einige Einschläge hinter sich, dennoch fällt es Lisa sichtlich schwer, auf die rote Haube einzudreschen, erst beim dritten Anlauf gibt es eine beachtliche Delle. Paul fällt das leichter, der Junge im Jeanshemd schlägt schwungvoll zu und staunt, welche Geschicklichkeit es erfordert, die Beule behutsam, aber mit Druck zu glätten und die Karosserie auszubessern. "Ob das was bringt, weiß ich nicht" seufzt ein Pädagoge In Halle C3 werden Nägel eingeschlagen, Handyhüllen designt, Longboards verleimt und Minipizzas belegt. Berührungsängste mit platten Animationsspielchen gibt es nicht. Aber 15-Jährige finden eben andere Dinge spannend, und Erwachsene sind hier nicht die Zielgruppe. "Ob das was bringt, weiß ich nicht", seufzt im Lehrercafé ein Pädagoge aus dem Münchener Norden, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen mag. Mit ungebrochenem Idealismus gehört er mit seinen Klassen zu den Stammkunden der Messe und will seine Schüler davor schützen, sich ein Berufsleben lang unmotiviert durch einen freudlosen Acht-Stunden-Tag zu wurschteln. "Mich ärgert einfach, dass die meisten Jungs Mechaniker und die Mädchen nach wie vor Friseurin werden wollen. Das sind ja noch halbe Kinder, und die haben keine Vorstellung davon, wie es tatsächlich ist, stundenlang in der Werkstatt zu stehen, mit Kundendruck umzugehen oder anderen die fettigen Köpfe zu waschen." (======================= Linkliste =======================) Rein statistisch hat er recht: Die beliebtesten Handwerksberufe führen der Kfz-Mechatroniker und die Friseurin traditionell an. Bei den Ausbildungsberufen behaupten sich die Bürokauffrau und Verkäufer im Einzelhandel. Gefragt wird von der Aschheimer Gruppe wenig, zugehört aufmerksam. Sogar die Standardfragen nach der Dauer der Ausbildung und dem Gehalt werden nicht gestellt. Unter den Realschülern breitet sich eine Nichts-Genaues-weiß-ich-noch-nicht-Ratlosigkeit aus, als sie nach ihren Berufsplänen gefragt werden. Immerhin machen alle in den Pfingstferien ein Praktikum. Und vage Vorstellungen gibt es dann doch. Natalie findet Audio-Technik interessant, "weil mein Dad in dem Bereich arbeitet". Melanie will im April noch eine Ausbildungsmesse besuchen und möchte etwas Kaufmännisches machen, möglicherweise Eventmanagement. Welche Veranstaltungen möchte sie betreuen? Melanie ist realistisch; "Alles Mögliche, ich denke da an Jubiläen." Und ihre Traumvorstellung? "Das sind Festivals, aber das wäre schon ziemlich anspruchsvoll." Für Eventmanagement interessiert sich auch Paul: "Ich habe mich im Internet informiert und kann gut organisieren." Sein Namensvetter interessiert sich hingegen für Heizungstechnik oder für eine Ausbildung bei der Bundeswehr, dort ist nämlich der Großonkel, "und was der erzählt, das ist interessant". Luis ist 15 Jahre alt und schwankt zwischen Kfz-Mechaniker oder einer Ausbildung in der IT-Technologie. In einer kleinen Autowerkstatt hat er ein Praktikum gemacht, dort wurden unter anderem Wohnwagen gewartet, "irgendwie war es das nicht". Er möchte sich bei einem großen Unternehmen bewerben. Klar, dass in Bayern sofort die Namen BMW und Audi fallen. Mehr als die Hälfte der Realschüler will noch Abitur machen Cedric hingegen plant, auf die Fachoberschule zu gehen, ob auf den technischen oder wirtschaftlichen Zweig, das mag er noch nicht entscheiden. So eine weiterführende Schule zu besuchen, um dort das Fachabitur, möglicherweise auch das Abitur zu machen, sei schlussendlich das, was mehr als die Hälfte ihrer Zehntklässler machen werden, berichtet Lehrerin Elisabeth Schönwald, die die Gruppe begleitet. Dafür brauchen sie einen Notendurchschnitt von 3,3 in Mathe, Englisch und Deutsch. Die Schule unternimmt eine Menge, um Schüler auf Ideen zu bringen. Eine Woche dreht sich alles um Berufsorientierung, die Arbeitsagentur schickt Vertreter. Der Chemie- und Mathelehrer Peter Harm hat ein Netzwerk von Unternehmen aufgebaut, bei denen die Achtklässler reinschnuppern, einen Tag bei der Deutschen Bahn oder großen Banken verbringen können. Klar positioniert ist hingegen Elena. Sie möchte Maskenbildnerin werden. Das weiß sie, seit sie sich in der dritten Klasse mit dem Make-up ihrer Mutter verschönert hat. Dass sie Spaß am Stylen hat, sieht man ihr an. Sie trägt einen fransigen Kurzhaarschnitt ("selbst geschnitten") mit leuchtend blauen Strähnen und Statement-Metallketten. "Visual kei" nennt sie ihren Stil, der sich an die Independent-Szene japanischer Musiker anlehnt. Aber Elena ist in ihrer Klarheit eine Ausnahme. Ihre Mitschüler zieht es derweil zu den Ständen anderer Gewerke. Elisabeth Schönwald entlässt sie gern in die wuseligen Messehallen, durch die sie, mit Broschüren und Stoffbeuteln versorgt, ziehen. Sie hat beobachtet: "Jeder macht seinen Weg, und die Wege sind durchlässig. Die Kinder entwickeln sich sehr unterschiedlich und erleben erst in der Ausbildung, wie die Welt ist. Da werden sie erwachsen." F.A.Z.
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